Pimp Your Street

Wer sich im Alltag mit Schrittgeschwindigkeit fortbewegt, hat im Gegensatz zu den meist schnelleren Transportmodi wie Rad oder Auto, die Möglichkeit mehr von der Welt zu sehen. Zum Beispiel lassen sich an historischen Gebäuden allerlei Verzierungen bestaunen. Die haben die stolzen Eigentümer nämlich genau dafür in Auftrag gegeben. Heute zeigt sich der Wohlstand jedoch auf andere Art. Verspielte Formen und interessante Details finden sich nun näher am Auge des Betrachters und zwar direkt an der Bordsteinkante. Unzählige Autos in allerlei glänzenden Farben und verschiedensten Ausformungen sind dort geparkt. Nun gut, sie nehmen auch ein wenig die Sicht auf die angrenzenden Häuser. Aber ein großer Verlust ist dies selten. Die langweilig geraden Verputzungen der Wärmedämmung sind im besten Fall noch mit einer freundlichen Pastellfarbe versehen. Im schlimmsten Fall fällt der Blick ungedämpft auf Sichtbeton.

Bewegt man sich in einem Auto, so fallen die langweiligen Fassaden natürlich nicht auf. Sie fliegen ja geradezu vorbei. Ist das Auto dann eventuell an einem Straßenrand abgestellt, so mag es immer noch die Zierde des Besitzers sein, welche die kahle Straße berreichert. Jedoch nimmt es auch wertvollen Platz weg. Zum einen für die Fußgänger, die von Punkt A nach Punkt B wollen. Zum anderen aber insbesondere für die Menschen, die die Straße als potentiellen Freizeitort nutzen könnten. Doch aufgrund des geminderten Platzangebots und den durch fahrende Autos hervorgerufenen Abgas-, und Lärmbelastungen, werden beide Gruppen eingeschränkt. Da jetzt kaum noch Menschen auf der Straße verweilen, gäbe es im Prinzip auch nichts gegen die minimalistischen Fassaden in der vorherrschenden Architektur einzuwenden. Es sei denn, wir wöllten unsere toten Straßen wieder in menschengerechte Orte verwandeln.

Am Anfang stehen Visionen

Das, was wir heute als normal hinnehmen, die Vorherrschaft des Autos und abweisende Häuserfronten, sind nicht vom Himmel gefallen. Die jahrzehntelange Entwicklung hin zu diesen Zuständen basiert auch nicht auf bloßem Zufall. Am Anfang standen Visionen und Träume von Ingenieuren, Stadtplanern, Investoren und vielen anderen. Das, worin wir heute leben, ist einfach das, was sich aus der Vielzahl von Visionen durchgesetzt hat, beziehungsweise (Aus Gründen) durchgesetzt wurde.

Es gab und gibt natürlich allerlei andere Vorstellungen vom guten Leben in der Stadt. Jetzt haben zwar die wenigsten von uns einen Masterplan für die gute Stadt im Kopf. Aber wenn wir es mit der Demokratie ernst meinen, dann sollten die verschiedensten Ideen auf den Tisch kommen dürfen. Hier wäre es natürlich zielführend, wenn sich jeder mit den Orten beschäftigt, die einen am meisten betreffen, die Straßen und Plätze, auf denen man die meiste Zeit verbringt.

Als mich in der dunklen Jahreszeit mal wieder die Wut über tote und lebensfeindliche Straßen packte, da habe ich mich allerdings nicht meiner Nachbarschaft gewidmet. Ich habe einfach nach einem Foto mit einer möglichst abstoßenden Straße gesucht. Das war dann zufällig die Heinrich-Heine-Straße in Schwerin. Nach allen Regeln der Technik eine feine Straße. Sanierte Häuserfassaden, ein Gehweg auf jeder Seite und viele parkende Autos (ruhige Wohnlage). Doch für mich absolut tot. Viel Stein, Metall und Kunststoff, aber keine Pflanzen oder höhere Lebensformen in Sicht.

Animierter Wechsel zwischen Original und Vision der Heinrich-Heine-Straße

Um dieser Tristesse im obigen Bild etwas entgegenzusetzen, habe ich die Straße einfach übermalt. Und dies ziemlich zurückhaltend. Es wurden lediglich die Autos entfernt, ein bisschen Grün hinzugefügt und die Seiten der denkmalgerechten Pflasterstraße unter anderem für Fahrradfahrer asphaltiert. Das Ergebnis ist sicherlich nicht der Prototyp einer lebenswerten Straße. Aber es vermittelt ein paar Ideen, die vielleicht diskussionswürdig wären.

Technik zur Visualisierung

Für Menschen ohne großes Maltalent, mich eingeschlossen, sind zwei Werkzeuge von Grafikprogrammen enorm hilfreich. Das erste ist die Tastenkombination “Strg+Z” für die Rückgängig-Funktion. Das zweite sind sogenannte Ebenen, wobei es sich vereinfacht gesagt um einzeln bearbeitbare und übereinander legbare Folien handelt. Damit habe ich schrittweise zuerst die Autos übermalt (Hintergrund) und nach und nach weitere Ebenen mit verschiedenen Elementen im Vordergrund hinzugefügt, wie die kleinen Bäume und die Menschen.

Weil das mit einer Maus kaum zu ansehnlichen Ergebnissen führt, habe ich auf einem digitalen Zeichenpad herum gekritzelt. Die kleinsten und einfachsten gibt es schon für etwa 50 Euro. Mir stand erfreulicherweise ein etwas größeres Intuos pen & touch medium von Wacom zur Verfügung (etwa 200 Euro).

Neben dem Eingabegerät und dem “Künstler” braucht es natürlich noch ein passendes Grafikprogramm. Hier hatte ich mich für KRITA entschieden, einem freien Programm das verschiedene Zeichenpads unterstützt und für Zeichner und Illustratoren entwickelt wurde. Alternativ hätte ich auch mit dem ebenfalls freien Alleskönner GIMP arbeiten können. Aber für das einfache Malen braucht man nicht unbedingt das Schweizer Taschenmesser der digitalen Grafikkunst.

Für weniger Computer-affine Künstler kommen natürlich auch reale Pinsel und Farbe in Frage, mit denen sich zum Beispiel ein Foto-Ausdruck übermalen lässt. Oder man nimmt sich ein paar bebilderte Zeitschriften, eine Schere und Kleber und versucht mit einer Collage seine Vision umzusetzen.

Wie geht es weiter?

Es wäre ja schön, wenn wir unsere Mitwelt für uns und unsere Nachbarn lebenswerter gestalten. Dafür sollten wir uns natürlich bewusst sein, wie wir denn leben wollen. Hier könnte eine künstlerische Vision für die eigene Nachbarschaft helfen. Wie man dies umsetzen kann, wurde im vorigen Abschnitt kurz dargestellt.

Damit wir auch die Bedürfnisse unserer Nachbarn kennenlernen, wäre es gut unsere Visionen mit ihnen zu teilen und in einen Austausch der verschiedenen Ideen einzutreten. Das könnte ganz direkt erfolgen, von Mensch zu Mensch, oder über bestehende Organisationen, wie Nachbarschafts- oder Ortsteil-Beiräte. In Schwerin freut sich auch der Verein Lokale Agenda 21 über kreative Zusendungen unter dem Projekt-Stichwort “Straße von Morgen”.

Nun erwachsen aus Visionen nicht sofort Realitäten. Vieles braucht Zeit und beharrlichen Druck. Aber wenn der erste Schritt nicht gegangen wird, bleibt das Ziel auf jeden Fall fern. Das Schöne bei der Entwicklung von Visionen ist ja, dass man jederzeit losgehen kann und niemand kann einen davon abhalten auf dem eingeschlagenen Weg immer weiter voranzuschreiten. Und aus den Steinen die einem in den Weg gelegt werden, lässt sich auch was hübsches basteln.


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