Bücher lassen sich seit einiger Zeit bequem auf elektronischen Lesegeräten mit auf Reisen nehmen. Dennoch werden traditionelle Bücher nicht aussterben. Natürlich macht es Spaß einen Star Trek Roman auf einem handlich kleinen Pad zu lesen, wie eben in dieser fiktionalen Zukunft. Aber auch dort spielen Bücher aus Papier immer noch eine Rolle und werden mitunter auf weite Weltraumreisen mitgenommen. Die Haptik, der spezielle Duft und die Geschichte eines gedruckten Buches sind halt schwerlich durch Bits und Bytes zu ersetzen. Wie ich dazu gekommen bin, meine gedruckten Bücher zumindest auf weltweite Reisen zu schicken, ohne dabei selbst auf Reisen zu gehen, darüber berichten die folgenden Zeilen.
Es fing mit einem Buch an und zwar mit Ursula K. Le Guin‘s „The Dispossessed“. Über irgendeine alternative Seite im Internet bin ich auf diesen Klassiker von 1974 aufmerksam geworden. Der Plot involviert zwei Gesellschaftssysteme auf zwei benachbarten Planeten eines fernen Sonnensystems. Auf der einen Seite werden die Ideologien des Kalten Krieges unserer Erde widergespiegelt und auf der anderen Seite wird noch detailreicher die Alternative einer anarchisch-syndikativen Gesellschaft erforscht. Da mich in Zeiten der immer wieder postulierten Alternativlosigkeit, die Suche nach Alternativen umso mehr umtreibt, bin ich dem von Eigentum befreiten Protagonisten auf seiner Reise in die merkwürdige Welt der Eigentümer, der Profiteure und der Bettler mit großem Interesse und mit viel Freude gefolgt. Nach über 40 Jahren seit der Erstveröffentlichung wird im Januar 2017 endlich eine aktuelle Neuübersetzung auf den deutschen Markt kommen. Wer Lust auf eine mitreißende, überaus menschliche und systemrelevante Geschichte hat, sollte einen Blick in Le Guin‘s „Freie Geister“ ernsthaft erwägen.
Nachdem mich die geschilderte Utopie einer besitzlosen und doch reichen Gesellschaft sehr begeistert hat, suchte ich nach mehr Lesestoff. Dabei bin ich auch auf den russischen Wissenschaftler und Philosophen Pyotr Alexeyevich Kropotkin gestoßen, der 1898, vor über einem Jahrhundert „Fields, Factories and Workshops“ veröffentlichte. Ein Grundlagenwerk über eine kooperative Wirtschaftsführung, die viel Wert auf lokale Entscheidungsprozesse und regionale Versorgung setzt und damit auch eine Zentralregierung obsolet macht. Das Buch ist mit sehr vielen Fakten und Zahlen unterlegt, was dem Lesefluss leider nicht förderlich ist. Ich bin irgendwo in der Mitte stecken geblieben und habe es dann erstmal bei Seite gelegt.
Darauf hin bin ich auf etwas leichtere, aber ebenso revolutionäre Kost umgestiegen. In „The Moneyless Manifesto“ schildert Mark Boyle seine Erfahrungen mit dem Leben ohne Geld. Interessanterweise wirtschaftet ja auch die Vereinigte Föderation der Planeten in Star Trek geldfrei. Allerdings scheint es für Boyle ausgeschlossen, dass so eine hoch-technologische Gesellschaft ohne Geld möglich wäre. Nach seiner Argumentation gäbe es schließlich keinen Grund für die Menschen im Kongo Coltan für die Produktion der grundlegenden Kondensatoren zu schürfen. Ich bin da ein bisschen optimistischer und glaube schon, dass wir uns als Gesellschaft auf die Produktion und Weiterentwicklung von Hochtechnologie einigen und die entsprechenden Abläufe gemeinschaftlich organisieren könnten. Auf der anderen Seite ist aber die gegenwärtige, verschwenderische Konsumkultur (jedes Jahr ein neues Telefon) tatsächlich nur durch den Raubbau an Mensch und Natur möglich.
In Boyle‘s Buch schließlich, das passender Weise nicht nur im Handel erhältlich, sondern auch online frei lesbar ist, wurde ich dazu inspiriert viele meiner Bücher auf eine Reise zu schicken. Im Laufe der Jahre haben sich bei mir recht viele Bücher angesammelt. Die meisten davon habe ich einmal gelesen und dann für immer ins Regal gestellt. Sieht schön aus, ist aber an für sich traurig, denn Bücher sind ja zum Lesen da. Boyle verwies für die Lösung dieses Dilemmas auf einen Internet-Service. In seinen Augen lediglich eine Übergangslösung, da auf nicht nachhaltiger Hochtechnologie beruhend. Aber für einen sozial entfremdeten Technik-Nerd ein schöner erster Schritt.
Auf www.BookCrossing.com kann man kostenlos seine eigenen Bücher registrieren und danach freilassen. Das System erzeugt für jedes Buch eine individuelle Nummer, die im Buch vermerkt wird. Dann gibt man das Buch entweder direkt an jemanden weiter, oder viel spannender, legt es an einem öffentlichen Platz aus. Der Finder und anschließende Leser kann den neuen Aufenthaltsort dann anonym im System vermerken und bei Bedarf auch eine kurze Rezension oder Nachricht schreiben. Zwar kann der Finder das Buch auch für ewig behalten oder sogar verkaufen, aber idealerweise wird es nach dem Lesen wieder frei gelassen um erneut gefunden zu werden. Wenn das Buch also Glück hat, geht es auf eine lange Reise und wird von vielen Menschen gelesen. Und für den, der es als erster frei gelassen hat, wäre es nie ganz weg, sondern eben nur auf Reisen.
Damit der Finder weiß, was die Nummer im Buch bedeutet, ist ein kurzer Hinweistext notwendig. Dafür kann man bei BookCrossing hübsche Aufkleber kaufen, was neben Spenden eine weitere Einnahmequelle zur Finanzierung dieses Services darstellt. Da ich aber gern stemple, habe ich mir einen Stempel mit der freien Software Inkscape designt und vom lokalen Stempelmacher herstellen lassen. Für diejenigen, die ebenfalls ein paar mehr Bücher freilassen wollen, stelle ich mein Design als mögliche Vorlage frei zur Verfügung (Stempelgröße 23 x 59 mm). Das laufende Buch gehört rechtlich übrigens BookCrossing, darf aber ebenfalls frei verwendet werden, wenn gleichzeitig auf den Service hingewiesen wird, was hier ja der Fall ist.
Durch BookCrossing habe ich mich in letzter Zeit viel mit meinen alten Büchern auseinander gesetzt und öfters überlegt, ob ich sie vielleicht doch nochmal lesen sollte, bevor ich sie frei lasse, bzw. welchen Freunden ich sie direkt weitergeben könnte. So habe ich mich einerseits von etwas Eigentum befreit, aber auf der anderen Seite auch gleichzeitig innerlich bereichert. Wenn euch dieser Artikel bereichert hat, dann würde ich mich freuen davon zu hören. Und auch wenn ihr Hinweise oder Fragen habt, könnt ihr gerne einen Kommentar hinterlassen.
Bücher auf Reisen von Daniel Meyer-Kohlstock ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.