Es handelt sich hier um einen Artikel aus dem Jahr 2013, der für eine neue Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar geschrieben wurde. Aus der Zeitschrift wurde dann doch nichts, aber der Artikel war fertig und lag anschliessend sieben Jahre in der Schublade. Da immer noch relevant, steht er jetzt leicht editiert und mit aktualisierten Internetverweisen auf dieser Seite.
Die Stoff- und Energiemengen, die in der EU-Landwirtschaft aufgewendet werden, übertreffen bei Weitem den energetischen und stofflichen Wert der erzeugten Lebensmittel. Zum anderen werden die eingesetzten Stoffe und Energien nur teilweise im Kreislauf geführt. Diese Praxis ist nicht nachhaltig und läuft daher früher oder später ihrem Ende entgegen. Um einen Übergang ohne Zusammenbruch zu ermöglichen, werden auf europäischer und nationaler Ebene neue Regulierungen entwickelt und bestehende Gesetze angepasst. Die enorme Komplexität der zu berücksichtigenden Sachverhalte, inklusive gewichtiger Wirtschaftsinteressen, gestaltet diesen Prozess jedoch langwierig und ohne Garantie auf Erfolg.
Im Gegensatz dazu versprechen Lösungsansätze für Einzelpersonen oder kleine Gruppen, schnellere Erfolge, höhere Anpassungsfähigkeit und Innovation durch Vielfalt. Auch solche Lösungen kommen nicht ohne Regulierungen aus. Diese können jedoch auf lokaler und regionaler Ebene wesentlich demokratischer und zügiger angepasst werden als im Kontext der Europäischen Union.
Der folgende Text gibt Einblicke in einige Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene und zeigt alternative lokale Lösungsansätze auf, die nicht nur als Ergänzung, sondern in Summe auch als wichtige Rückkopplung für die staatliche Ebene zu begreifen sind.
Das aktuelle Modell
Die industrialisierte Landwirtschaft benötigt inzwischen sehr wenige Menschen um eine definierte Menge an Nahrungsmitteln zu produzieren. Jedoch ist sie extrem abhängig von fossiler Energie und dem Input von Mineraldüngern. Dabei mag Letzteres auch für den massiven Einsatz von Pestiziden verantwortlich sein. Denn obwohl Mineraldünger die Kulturpflanzen zum gewünschten Ertrag mästen, stellen sie eventuell nicht deren bevorzugte Form von Nährstoffen dar (Paungfoo-Lonhienne et al. 2010; 2012) und beeinträchtigen so die Widerstandskräfte der Pflanzen.
Doch selbst wenn Mineraldünger und Pestizide die Grundlage für gesunde Pflanzen und nahrhafte Lebensmittel wären, so liesse sich dennoch feststellen, dass die Nährstoffströme in ihrer jetzigen Form langfristig nicht tragbar sind. Dieses Problem ist seit längerem bekannt. Die gestörten Nährstoffkreisläufe werden bisher aber, wenn überhaupt, meist nur im Zusammenhang mit Phosphor diskutiert. Mineralischer Phosphor ist ein seltener Rohstoff mit Abbaureserven von wenigen Jahrzehnten. In Europa gibt es zudem so gut wie keine Vorkommen, woraus eine völlige Abhängigkeit von Importen resultiert. Zugleich herrscht eine enorme Verschwendung in Form von ungenutzten organischen Abfällen vor (vgl. Abb. 1).
Der ineffiziente Einsatz von mineralischem Phosphordünger im Ackerbau führt zwar auch zum Aufbau einer Reserve für künftige Jahre. Aber von diesem Vorratszuwachs abgesehen, kann generell von einem massiven Verlust gesprochen werden. Dabei werden potentielle Ressourcen im wahrsten Sinn des Wortes, die Toilette hinunter gespült und dies betrifft mehr als nur ein Nährelement. Der im Abwasser weggeschwemmte Stickstoff wird in Kläranlagen zu Luftstickstoff reduziert und verschwindet ungenutzt in die Atmosphäre. Phosphor wird zwar zum Teil im anfallenden Klärschlamm gebunden. Jedoch gelangt dieser aufgrund der möglichen Kontamination mit Schwermetallen und Arzneimittelrückständen nur begrenzt zurück in die Landwirtschaft. Damit geht auch organisch gebundener Kohlenstoff verloren, welcher die Grundlage für viele Bodenorganismen und damit auch für die Bodenfruchtbarkeit ist.
Die nicht genutzten Abfälle aus dem Siedlungsbereich (organische Abfälle im Restmüll) und der Nahrungsmittelindustrie tragen auch erheblich zum Verlust von Nährelementen bei. Nur etwa ein Viertel aller Bioabfälle in der EU wird kompostiert (Eurostat 2012), siehe auch Abb. 1 (linksseitiger Strom von „Menschlicher Verbrauch“ zu „Ackerbau“). Die Versickerung und der oberirdische Abfluss von Mineral-Phosphordünger (Abb. 1, rechts unten), stellen nicht nur einen weiteren Verlust dar, sondern gefährden auch die Reinheit des Grundwassers sowie die Nährstoffbilanz oberirdischer Gewässer.
Lösungsansätze auf europäischer und nationaler Ebene
Auf europäischer Ebene soll langfristig der Einsatz von mineralischen Düngemitteln effizienter gestaltet werden. Das Recycling organisch gebundener Nährstoffe steht ebenfalls auf der Agenda.
Die Bauhaus-Universität Weimar ist im Forschungsbereich sowohl mit dem Pflanzenkohle-Projekt FERTIPLUS (http://fertiplus.eu), als auch mit dem Mineraldünger-Projekt BioRefine (https://www.biorefine.eu/projects/biorefine) an dieser Zielstellung beteiligt. Wenn auch nicht ausschliesslich, so konzentrieren sich diese und andere Projekte, wegen der bereits erwähnten Importabhängigkeit, auf das Phosphor-Recycling. Für das Phosphor-Potential im Abwasser gibt es zwar schon technisch machbare Lösungsansätze (Bilbao 2013) und auch hier ist die Bauhaus-Universität Weimar an einem Forschungsprojekt beteiligt (KREIS 2013 https://nawam-inis.de/de/inis-projekte/kreis). Aber die breite wirtschaftliche Umsetzung lässt noch auf sich warten.
Insofern stellt die Nutzung des Abwasser-Potentials (Abb. 2, links) eine insgesamt grössere Herausforderung dar, als das gewichtigere Potential der Viehhaltung (rechts), das aber schon im landwirtschaftlichen Kreislauf zirkuliert (siehe Abb. 1). Doch auch hier besteht Handlungsbedarf. So haben beispielsweise die Niederlande mit einer sehr hohen Viehdichte zu kämpfen. Grund dafür ist zum Einen der traditionell starke landwirtschaftliche Sektor. Zum Anderen besteht die Möglichkeit, zusätzliches Viehfutter günstig über den Atlantik zu beziehen und die Produkte ebenfalls günstig ins europäische Ausland zu exportieren.
Für die Massentierhaltung bedarf es jedoch ausreichend Fläche für das Recycling von Gülle und Dung, denn der Boden kann nur eine bestimmte Menge davon umsetzen und dies auch nur zu bestimmten Zeiten. Da diese Flächen in den Niederlanden schon lange nicht mehr ausreichen, wurde die Wissenschaft von der Politik aufgefordert dieses Problem zu lösen – allerdings ohne die Viehdichte zu reduzieren. Ein weit verbreitetes Dilemma wird hier sichtbar: Lösungen sind erwünscht, jedoch nur solange an bestehenden Verhältnissen nicht gerüttelt wird.
Deshalb wird derzeit daran gearbeitet, den Export von Gülle und Dung in die benachbarten Staaten zu erleichtern. Dafür sollen auch tierische Ausscheidungen in die EU-(Mineral)-Düngemittelrichtlinie aufgenommen werden. Ein Mittel zum Zweck: Denn, sobald Gülle und Dung nicht auf demselben landwirtschaftlichen Betrieb ausgebracht werden können, auf dem sie angefallen sind, werden sie per Definition schnell zu Stoffen, denen man sich entledigen will oder muss, also zu Abfall. Und der transnationale Handel von Abfall ist nicht so unproblematisch wie der freie Warenverkehr von Mineraldünger.
Ergänzend wird in Forschungsprojekten daran gearbeitet, die tierischen Ausscheidungen thermisch zu behandeln und sie in Mineraldünger-ähnliche Produkte umzuwandeln. Damit wäre der Weg für den europaweiten Export schon unter der gegebenen Gesetzeslage frei. Sind diese Lösungsansätze erfolgreich, wäre eventuell auch eine weitere Intensivierung der Viehhaltung in den Niederlanden vorstellbar. Insofern hätte man mit viel Aufwand die Verschärfung des eigentlichen Problems ermöglicht. Kurzfristige wirtschaftliche Interessen würden weiterhin über nachhaltige Alternativen, wie zum Beispiel die Dezentralisierung der Viehhaltung gestellt.
Lösungsansätze auf lokaler und regionaler Ebene
Wenn sich im Grossen kaum etwas zum Positiven ändert, oder Probleme nicht an den Wurzeln angepackt werden, so sind die Gründe dafür auch im Kleinen zu suchen. Der europäische Durchschnittsbürger ist mittlerweile sehr weit entfernt von den Grundlagen seiner täglichen Nahrung. Alle paar Monate auftretende Lebensmittelskandale verunsichern den Verbraucher. Aber, lediglich für kurze Zeit. Politische Folgen sind marginal und die fragilen Systeme der Massentierhaltung und des auf Mineraldünger und Pestiziden basierenden Ackerbaus bestehen unverändert fort.
Mit der seit einigen Jahren wieder stärker in den Blickpunkt tretenden urbanen Landwirtschaft, auch Urban Farming genannt, ergeben sich neue Möglichkeiten, den Verbraucher wieder zum Souverän seiner Lebensmittel zu machen. Das bedeutet nicht, dass Jeder sein eigenes Gemüse anbauen und im Hinterhof Hühner halten müsste. Aber die Möglichkeit dies zu tun, könnte mit der Anpassung von Bebauungsplänen und kommunalen Verordnungen geschaffen werden. Und dies wäre nur ein erster Schritt zum Aufbau eines Netzes lokaler Produzenten und Verbraucher. Ein solches Netz von kleineren Nährstoffkreisläufen ist in Abb. 3 dem industriellen Nahrungsmittelsektor gegenübergestellt.
Damit die Nährstoffe tatsächlich energieeffizient und ohne grössere Verluste zirkulieren können, bedarf es aber auch auf der lokalen Ebene einiger Anpassungen. Zum Beispiel müsste das bestehende System der Spültoilette in Frage gestellt werden. Insbesondere wenn neben dem Phosphor auch das Recycling von Kohlenstoff, Stickstoff, Kalium und allen anderen Nährelementen betrachtet wird. Über Alternativen wie Komposttoiletten (Jenkins 2006 http://humanurehandbook.com/) und Terra Preta Sanitation (AWW 2012) könnte diskutiert werden.
Des Weiteren bedürfte es der Integration von bisher kaum genutzter Fläche, Abwärme und Regenwasser. Dies könnte auch die bestehende technische Infrastruktur entlasten und zur kommunalen Kosten- und Energieeffizienz beitragen. Und nicht zuletzt bräuchte es die Menschen, die in solchen Kreisläufen eine erfüllende Beschäftigung finden. Ein Aspekt der erklären könnte, warum sehr viele Urban Farming-Projekte einen starken sozialen Fokus aufweisen.
Lokale, dezentralisierte Kreisläufe, wie in Abb. 3 hervorgehoben, sollten stärker in den gesellschaftlichen Fokus rücken. Solche Kreisläufe zu verwirklichen, hat sich unter anderen die weltweite Transition Town Bewegung zur Aufgabe gemacht. Dabei gestalten Gemeinden aktiv ihren Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft. Die örtliche Initiative Weimar im Wandel (https://transitionweimar.wordpress.com) hat mit ihrer »Solidarischen Landwirtschaft« schon einen kleinen Baustein dazu beigetragen.
Nun bleibt zu hoffen, dass die beginnende Umgestaltung auf lokaler Ebene auch eine politische Emanzipierung von grösseren Gesellschaftsgruppen nach sich zieht. Denn dies könnte eine Rückkopplung auf die nationale und europäische Politik bewirken und auf diesem Weg die Etablierung nachhaltiger Nährstoffkreisläufe auch im Grossen vorantreiben.
Quellenverzeichnis
AWW (Hg.). 2012. Terra Preta Sanitation. Hamburg University of Technology - Wastewater Management and Water Protection. https://www.tuhh.de/alt/aww/research/terra-preta-sanitation.html
Bilbao, Jennifer. 2012. Mobile Demonstrationsanlage Zur Elektrochemischen Fällung Von Magnesium-Ammonium-Phosphat (Struvit). https://www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/wasser-abwasser/naehrstoffmanagement/map-anlage.html
Eurostat (Hg.). 2012. Main Tables of the EU-27 Member States. https://ec.europa.eu/eurostat/data/database
INTERREG IVB (Hg.). 2013. Bio-Refine: Recycling Inorganic Chemicals from Agro- & Bio-industry Wastestreams. INTERREG IVB NWE Programme - Investing in Opportunities. https://www.biorefine.eu/projects/biorefine
Jenkins, Joseph. 2006. The Humanure Handbook: A Guide to Composting Human Manure. Chelsea Green Pub Co. http://humanurehandbook.com/
KREIS (Hg.). 2013. Demonstrationsvorhaben Stadtquartier Jenfelder Au ‒ Kopplung von regenerativer Energiegewinnung mit innovativer Stadtentwässerung. KREIS ‒ Versorgung Durch Entsorgung. https://nawam-inis.de/de/inis-projekte/kreis
Paungfoo-Lonhienne, Chanyarat; Rentsch, Doris; Robatzek, Silke; Webb, Richard I.; Sagulenko, Evgeny; Näsholm, Torgny; Schmidt, Susanne; Lonhienne, Thierry G. A. 2010. Turning the Table ‒ Plants Consume Microbes as a Source of Nutrients. PLoS ONE 5 (7). https://dx.doi.org/10.1371%2Fjournal.pone.0011915
Paungfoo-Lonhienne, Chanyarat; Visser, J.; Lonhienne, Thierry G. A.; Schmidt, Susanne. 2012. Past, Present and Future of Organic Nutrients. Plant and Soil 359 (1-2), S. 1–18. https://doi.org/10.1007/s11104-012-1357-6
Van Dijk, Kimo. 2013. Phosphorus Use in Europe. 1st European Sustainable Phosphorus Conference, 7. März 2013, Brüssel. https://phosphorusplatform.eu/
Europa, deine Nährstoffe von Daniel Meyer-Kohlstock ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.